Im letzten Heft des Hapkido-Magazins haben wir die Haftungslage für Kampfkunstlehrer dargestellt, wenn ihre Schüler bei Ausübung ihrer Kampfkunst eine Verletzung erleiden. Eine andere Haftungssituation ist gegeben, wenn es nicht um Meister-Schüler-Situationen geht. Der bei Kampfkunstlehrern entscheidende Haftungsaspekt überlegener technischer Fähigkeiten und Kenntnisse ist dann nicht so ausgeprägt. Trainingspartner in der jeweiligen Hapkido Trainingsgruppe werden nämlich gleiche oder ähnliche Gürtelgrade haben. Allerdings kann man auch unterhalb der Meisterebene von einem erfahrenen, technisch versierten Kampfsportler mehr Sorgfalt als von einem Anfänger verlangen. Der Beitrag stellt die Haftungslage bei Trainingsunfällen unter Kampfkunstschülern dar. Die Autoren meinen natürlich nicht, dass man nach einer vom Trainingspartner verursachten Verletzung automatisch nach Schadensersatz und Schmerzensgeld rufen sollte. In der Kampfkunst-Kultur sind Verletzungen als Bestandteil des allgemeinen Lebensrisikos zu betrachten. Wir wollen aber anhand einiger Beispiele aus verschiedenen Kampfkünsten auf juristische Aspekte hinweisen, um auf die Verantwortung von Kampfkunstschülern untereinander und das zentrale Rücksichtnahmeprinzip im Hapkido hinzuweisen. Über allem schwebt die Verantwortung des Meisters, eine Person aus dem Training temporär herauszunehmen, wenn diese zu erschöpft oder zu „wild“ gegenüber Trainingspartnern ist. Meister müssen darauf achten, dass Trainingspartner unter den verschiedensten Aspekten (Gürtelfarbe, Größe, Mentalität usw.) zueinander „passen“ und gerade Übende mit höheren Graden sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Dies ist eine wichtige Basis zur weitest möglichen Vermeidung von Trainingsunfällen. In diesem Zusammenhang kann man feststellen, dass Hapkido im Verhältnis zu vielen anderen Sportarten in den Verletzungsstatistiken ganz unauffällig ist.
Die Haftung von
Kampfkunstschülern
Kampfkunst und Kampfsport sind mit unmittelbarem Kraft- und Körpereinsatz verbunden mit hinzukommenden Aspekten wie Schnelligkeit und Dynamik. Im Training kommt es deshalb bei Würfen, Blocktechniken, Griffen, Schlägen usw. immer einmal versehentlich zu Verletzungen des Trainingspartners. Ein Training kann schließlich nur wirkungsvoll sein, wenn unter Anderem Angriffs- und Abwehrhandlungen zwar nicht voll durchgezogen, aber intensiv und mit angemessener Geschwindigkeit ausgeführt werden. Es passiert nicht selten, dass man beispielsweise beim Pratzentraining im Eifer des Gefechts die Pratze verfehlt und den Verteidiger am Körper oder im Gesicht trifft. Hierzu können auch Fehler des die Pratze haltenden Verteidigers führen. Auch Würfe haben das Potenzial für Verletzungen. Es ist nämlich schwierig, z.B. einen schon im Ansatz technisch nicht gut gelungenen Wurf im Bewegungsprozess noch abzubrechen, um Verletzungen zu vermeiden. Durch eine gute Fallschule, die eine kompetente Kampfkunstschule auszeichnet, kommt es eher selten zu nennenswerten Unfällen. Falls es dennoch zur Verletzung des Trainingspartners kommt, billigt die Rechtsprechung dem „Schädiger“ einen nicht unerheblichen Haftungsfreiraum zu. Gerichte betonen, dass schließlich jeder, der Kampfsport betreibt, die Risiken kennt und in sie einwilligt. Als Kampfkunsttreibender muss man wegen Trainingsverletzungen eines Partners deshalb im Normalfall nicht haften.
Die Häufigkeit von Gerichtsverfahren im Bereich des Budo-Sports nimmt jedoch zu. Vor dem Hintergrund einer weiten Verbreitung von Rechtsschutzversicherungen schwindet das Gefühl für allgemeine Lebensrisiken. Die Neigung nach jemandem zu suchen, der haftet, nimmt leider in allen Lebensbereichen zu. Wichtig ist daher die Kenntnis von einigen Urteilen zum Budo-Sport, die für das Trainingsgeschehen richtungsweisend sind. Hierzu zählt ein überzeugendes Urteil des Oberlandesgerichts Köln zur Haftung bei Trainingskämpfen (OLG Köln, Sport und Recht 1995, 135). In dem Fall hatte ein höherer Gürtelträger im Judo bei einem freien Trainingskampf (Randori) bei einer rangniedrigeren Kämpferin eine gefährliche Beinschere ohne vorherige Ankündigung vorgenommen. Dies führte zu einer Verletzung bei ihr. Der höhere Gürtelträger musste wegen unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) haften. Er hatte nämlich Techniken eingesetzt, die seine Gegnerin nach ihrem Ausbildungsstand noch nicht kannte und noch nicht beherrschen musste.
Das Gericht betrachtete das Verhalten des höheren Gürtelträgers als Verstoß gegen das Fairnessgebot:
„Das Randori erfordert zwar grundsätzlich keine Ankündigung, bestimmte Techniken einsetzen zu wollen. Dann ginge der Sinn des freien Übungskampfes weitgehend verloren. Uneingeschränkt gilt dies aber nur unter ausbildungsmäßig ebenbürtigen Gegnern. Bei rangverschiedenen Gegnern hingegen fordert die Fairness Rücksicht. Der Teilnehmer muss sich dann im Rahmen des Griff- und Wurfrepertoires halten, das seinem Gegner nach den objektiv erkennbaren Umständen geläufig sein muss. Bei freiem Übungskampf mit einem Judoteilnehmer aus einer niedrigeren Gürtelstufe darf der höherrangige Judoka folglich sein eigenes Repertoire nicht vollständig einsetzen, sondern nur diejenigen Techniken verwenden, die dem Gegner nach dessen Ausbildungs- und Prüfungsstand bekannt sein müssen. Will ein statusmäßig höherer Judokämpfer beim freien Übungskampf gegen einen in der Gurtfarbe niedrigeren Teilnehmer im Rahmen eines Randori eine Technik einsetzen, die bei üblichem Ausbildungsverlauf erst zum Übungs- und Prüfungsrepertoire einer höheren Gürtelstufe als der des Gegners gehört, so darf er dies allenfalls dann, wenn er den „Rangniedrigeren“ zuvor gefragt hat, ob er diese Technik schon beherrscht und ob sie daher eingesetzt werden darf. Eine andere Vorgehensweise wäre leichtfertig und unfair. Denn im Judo ist die Beherrschung der jeweiligen Wurftechnik nicht nur für den Werfenden erforderlich, sondern auch für den Geworfenen. Dieser muss sich in der Art seines Falles und der Gegenbewegungen auf die spezielle Technik einstellen, will er nicht erhebliche Verletzungen erleiden.“
Der höhere Gürtelträger musste für den Sportunfall seiner Trainingspartnerin, die über den Blaugurt verfügte, haften. Es ist auf Hapkido übertragbar. Wenn ausnahmsweise eine Haftung zwischen Trainingspartnern oder bei Kampfsportdemonstrationen zum Tragen kommt, kommt ein Mitverschulden des Verletzten in Betracht (§ 254 BGB). Steht Mitverschulden fest, verringert sich das Schmerzensgeld und man muss als Schädiger nicht für den vollen Schaden einstehen. Der Klägerin in dem vom Oberlandesgericht Köln entschiedenen Fall hielt das Gericht mit Recht folgendes entgegen:
„Die Klägerin kann vollen Ersatz ihres Schadens aber nicht erhalten, da ihr jedenfalls ein hälftiges Mitverschulden anzurechnen ist. Sie hat, obwohl ihr nach eigenen Angaben der Wurf nicht bekannt war, dieser vom Beklagten letztlich aber dreimal angesetzt wurde, in keiner Weise protestiert oder um Unterbrechung des Randori und Aufklärung gebeten. Hierin liegt ein Verschulden gegen die eigenen Interessen, dass im Rahmen des § 254 BGB … zutreffend mit hälftiger Mitverantwortung gewertet worden ist. Spätestens nach dem zweiten Versuch hätte die Klägerin eine Klarstellung herbeiführen müssen. Es ist anzunehmen, dass dann der Unfall auch nicht eingetreten wäre.“
Die von großer Sachkunde geprägten Ausführungen des Gerichts zum Fairnessprinzip zwischen Trainingspartner können auch auf viele andere Zweikampfsportarten wie Karate, Hapkido, Taekwondo oder Jiu-Jitsu übertragen werden. Es ist wichtig für die Praxis der Kampfkunst und des Kampfsports, dass das Oberlandesgericht Köln in seinem Urteil betont, dass eine „fehlsame Wurftechnik für sich allein“ noch nicht zu einer Haftung führt. Was das Gericht über misslungene Wurftechniken ausführt, kann man auch auf alle Schlag- und Boxtechniken, Fußtritte, usw. übertragen:
„Fehler bei dem Ansetzen und Durchführen bestimmter Wurf- oder Grifftechniken sind kaum vermeidbar und bilden als solches für sich noch keinen Haftungsgrund schlechthin. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der falsche Einsatz einer bestimmten Wurftechnik und so weiter und so fort, nicht auf Vorsatz oder bösem Willen, sondern fahrlässig erfolgt“.
Ein anderes Ergebnis würde auch zu einer völlig uferlosen Ausweitung der Haftung führen, weil falsche respektive nicht optimal ausgeführte Techniken in jedem Budo-Training dauernd zwischen Trainingspartnern vorkommen. Sie kennzeichnen den langen Weg des Schülers zum Meister. Die ausgefeilten Techniken in den Kampfkünsten bedürfen bis zum Perfektionsgrad jahrelanger Übung. Selbst Meister der Kampfkunst nehmen für sich nicht in Anspruch, an jedem Tag zu jeder Zeit jede Technik in absoluter Perfektion auszuführen respektive ausführen zu können. Insofern wird man gerade bei Kampfkunstschülern die Haftungsanforderungen beim Training nicht überziehen dürfen, weil allen Beteiligten die Schwierigkeit vieler Techniken ebenso bewusst ist wie das immer verbleibende Restrisiko einer Verletzung bei Technikdefiziten. Die Komplexität der Techniken wird in einem Wort von Großmeister Kuksanim Myong, Jae-Nam, Hankido-Hapkido deutlich:
„Es ist besser eine Technik 1000-mal zu üben als 1000 Techniken einmal.“
Generell gelten im Budosport die Eckpunkte, die der Bundesgerichtshof allgemein für die Ausübung von Kampfsportarten im weiteren Sinne, zu denen unter Anderem auch Fußball zählt, aufgestellt hat. Demnach haftet ein Sportler, der einen Gegner verletzt, nur bei vorsätzlichen oder grob fahrlässig begangenen Regelverletzungen (BGH NJW 1975, 109). Wenn im Wettkampf oder Trainingsbetrieb keine oder nur eine leichte Regelverletzung vorliegt und beispielsweise durch Übereifer, Übermüdung, technischem Versagen oder aus ähnlichen Gründen eine Verletzung beim Kampfpartner bzw. Kampfgegner eintritt, scheidet regelmäßig eine Haftung aus. Es besteht in der Kampfkunst ein ganz erheblicher Haftungsfreiraum und dies ist auch gut so.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat diese Grundsätze übrigens auch auf einen sportlichen Wettkampf übertragen, bei dem es auf einem Schulhof in der Pause bei zwei Schülern in einem spontanen „Schaukampf“ um eine Art Schattenboxen ging. Vergleichbar dem Karate wurden hierbei Schläge und Tritte nur bis zum Körper des Gegners geführt und dann abgestoppt, so dass ihnen die volle Wucht genommen wurde (OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 292). In einer „Kampfsituation“ gelang dann einem der „Schattenboxer“ offenbar das Abstoppen nicht, sodass sein „Gegner“ verletzt wurde. Dieser reichte dann Klage ein. Da aber weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit bei dem verursachenden Schattenboxer vorlag, wurde die Klage abgewiesen.
Die Haftung bei Kampfkunstdemonstrationen
Das Oberlandesgericht München hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche rechtlichen Grundsätze bei Kampfkunstdemonstrationen zum Tragen kommen (OLG München Urt. 20.5.1996, 30 U 775/95). Im Rahmen eines Erfahrungsaustausches zwischen Kampfsport- und Selbstverteidigungslehrern aus verschiedenen Kampfsportarten sollte von einem Kampfkunstlehrer eine bestimmte, schmerzhafte Selbstverteidigungstechnik (Nervenpresse) gezeigt werden. Der Scheinangreifer sollte zuvor bei der Demonstration einen sogenannten „Schwitzkasten-Griff“ bei dem Verteidiger ausführen. Im Hinblick auf einen ihm drohenden und in Teilen durchgeführten schmerzhaften Abwehrangriff ließ sich der später verklagte Scheinangreifer unkontrolliert fallen, was zu schwerwiegenden Verletzungen bei dem Verteidiger führte (u.a. Kreuzbandriss/Riss eines Seitenbandes). Dieser machte deshalb gegen den Scheinangreifer bei der auf Video aufgezeichneten Kampfsport Demonstration Schadensersatz- und Schmerzensgeld Ansprüche geltend. Das Gericht stellte zunächst fest, dass es bei Kampfsportdemonstrationen rechtliche Besonderheiten gibt:
„Da es sich nicht um die Ausübung eines Sportkampfs gehandelt hat, sondern nur um die Demonstration einer Verteidigungstechnik, kommt die Rechtsprechung zur vermuteten Einwilligung des Verletzten in die bei Kämpfen dieser Sportart üblichen Verletzungen nicht zum Tragen“. Das Gericht urteilte, das der Scheinangreifer bei der Demonstration die „Spielregeln“ verletzt und eine unnötige Überreaktion gezeigt habe. Er hätte statt sich unkontrolliert fallen zu lassen von der immer bestehenden Möglichkeit „abzuklatschen“ oder „Halt“ oder Stop“ zu sagen, Gebrauch machen müssen: „Für sein zumindest unkontrolliertes Verhalten (Fallenlassen) kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, er selber betreibe nur „Thai-Boxen, Kick-Boxen und Karate“, bei welchen Disziplinen es kein „Abklatschen“ gebe. Er hätte sich dann nicht als Assistent für eine Demonstration einer ihm nicht ausreichend vertrauten Sportart zur Verfügung stellen dürfen. Im Übrigen musste der Beklagte als Schwarzgurtträger (Kämpfer der höchsten Rangklasse und Kampfsportlehrer) auch mit den Gepflogenheiten anderer Disziplinen hinreichend vertraut sein. Auch bei Karate gibt es Techniken, bei welchen abgeklatscht werden muss, was der Beklagte nicht bestreitet. Er war, wie schon dargestellt, nicht Kampfpartner, sondern lediglich Assistent einer Demonstration, welchem es, so überzeugend der Sachverständige H., nicht erlaubt ist, eigene Initiative zu zeigen. Er hat sich dem Demonstrierenden unterzuordnen.“
Trotzdem bekam der am Knie schwer verletzte Kampfsportlehrer, der die Kampfsportdemonstration leitete, zu Recht nicht das volle Schmerzensgeld zugesprochen. Das Gericht warf ihm nämlich vor, dass er den Scheinangreifer aus der anderen Kampfsportart nicht vorher voll in den Ablauf der Demonstration eingewiesen hatte. Im Urteil wurde ihm vorgehalten, dass von ihm auf einer Veranstaltung mit Kampfsportlehrern der verschiedensten Sportarten vor der Demonstration detailliertere Absprachen – insbesondere zu möglichen Reaktionen auf die Nervenpressen - hätten getroffen werden müssen. Er habe schließlich die Kampfkunstdemonstration geleitet und damit eine besondere Verantwortung. Gerade dieser Fall beleuchtet sehr anschaulich, wie wichtig es ist, vor dem Hintergrund der Verletzungsanfälligkeit mancher Übungen und Techniken im Kampfsport und in der Kampfkunst umfassend vorher zwischen den Kampfpartnern Absprachen zu treffen, wenn es um die Demonstration von Techniken geht. Wäre dies in dem vom Oberlandesgericht München entschiedenen Fall geschehen, wäre es aller Voraussicht nach nicht zu dem Sportunfall gekommen. Der betroffene Kampfkunstlehrer konnte wegen seiner schweren Verletzung monatelang in seiner Kampfsportschule nicht selbst das Training mit entsprechenden Übungsdemonstrationen leiten.
Grundsätze und
Empfehlungen
Man kann als Fazit aus der Rechtsprechung folgendes festhalten:
1.) Es ist allgemein ein besonderes Kommunikationsverhalten in der Kampfkunst zu empfehlen.
2.) Im Budo-Sport sollte von Kampfkunstschülern in jeder Phase bei Übungen oder Demonstrationen im Zweifel vor Durchführung von besonderen Techniken nachgefragt und gegebenenfalls klare Absprachen getroffen werden.
3.) Je gefährlicher die Hapkido-Technik desto mehr ist eine sorgfältige Planung und Absprache notwendig.
4) Trainingsanweisungen von Kampfkunstlehrern sind von den Kampfkunstschülern zu beachten, vorgeschriebene Schutzausrüstungen sind zu tragen.
5.) Soweit erforderlich sind von Kampfkunstschülern Technikausführungen bei Unklarheiten über den Ablauf an geeigneter Stelle zu unterbrechen, um das Risiko von Sportverletzungen für den Trainingspartner zu verringern.
6.) In seltenen Fällen und unter unglücklichen Umständen kann es beim Hapkido-Training bei Verletzungen zur Haftung unter Kampfkunstschülern kommen.
7.) Bei Kampfkunstdemonstrationen sind unter den Beteiligten sorgfältige Absprachen zu treffen.
Die Haftung von Kampfkunst-lehrern beim Hapkido-Training - Teil 2 (yido.eu)
Rechtliche und ethische Fragen rund um den „Schwarzgurt“ - Teil4 (yido.eu)