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sei. Dies war für mich ein Schlüsselerlebnis: In               Von diesem Moment an habe sie nur noch Zorn
 der Folgezeit bin ich sehr vorsichtig geworden                 und Wut verspürt wenn sie an die damalige
 bei der Aufklärung von „Todkranken“. Getreu den                Aufklärung denken musste. Hass gegen den,
 Worten meines verehrten Mentors und Lehrers                    der sie so „falsch“ aufgeklärt hat, der ihr in so
 Professor Rudolf Berchtold, Bern:                              wenigen Minuten in harten Sätzen eine Zukunft
                                                                in Aussicht stellte, die sie beinahe in den Tod
 „Wenn Sie jemanden aufklären,                                  getrieben hätte. Frau L. ist auch überzeugt
 sagen Sie immer die Wahrheit!                                  davon, dass ihr Mann nicht mehr leben würde,
                                                                wenn er damals die vernichtende Diagnose
 Aber was ist schon die Wahrheit? Und wie viel                  erfahren hätte. In meiner Erinnerung hat sich
 von der Wahrheit verträgt der Mensch?“ Oft habe                das Aufklärungsgespräch vor 32 Jahren anders
 ich darüber nachgedacht, ob ich den Patienten                  abgespielt als in der Erinnerung von Frau
 von damals kontaktieren sollte. Als ich dann in                L. Aber das ist ganz natürlich. Sie ist die ei-
 Altersrente ging – also fast dreißig Jahre später,             gentlich Betroffene. Nicht ich. Ich - als damals
 im Oktober 2006 habe ich ein längeres Gespräch                 junger Assistenzarzt in der Weiterbildung ohne
 mit dem Sohn und der Ehefrau von Herrn L.                      psychologische Schulung für die Führung eines
 geführt. Herr L. war mittlerweile 67 Jahre alt und             solch schwierigen Gespräches war mit Sicher-
 lebte immer noch. Der Sohn berichtete mir, dass                heit überfordert gewesen. Sicher - ich habe
 sein Vater bald nach dieser Probe-Baucheröff-                  versucht mein Bestes zu geben - habe ihre
 nung mit erwiesenem Krebs ein akutes rheuma-                   Hand genommen, habe versucht sie zu trösten
 tisches Fieber mit Spitzen von 40-41°C über                    und ihr geraten sich einfach noch eine schöne
 einen Zeitraum von acht Tagen durchlitten                      Zeit mit ihrem Mann zu gönnen. Und war noch
 habe. Später sei er dann so schwach und vom                    im Glauben, es so gut wie möglich gemacht zu
 Herzen her so krank geworden, dass er mit dem                  haben. Welch ein Irrtum! Immer dann, wenn
 Hubschrauber in die Herzklinik nach München                    es in der Zukunft um Prognosen der Lebenser-
 geflogen wurde. Dort habe man die „ausgefrans-                 wartung ging, habe ich an den Handwerks-
 te“ defekte Aortenklappe ersetzt. Zwei Jahre                   meister L. gedacht und versucht den Angehöri-
 später habe er einen schweren PKW-unfall erlit-                gen mehr als einen Funken Hoffnung zu geben.
 ten mit Beckenbruch, wobei er eine Woche im
 Koma gelegen habe. Letztendlich habe er sich                   Heute gibt es eine ganze Reihe von Berichten
 davon aber auch erholt. Schließlich musste vor                 über verbürgte Spontanheilungen beim Krebs.
 neun Jahren dann auch noch wegen eines Nie-                    Wahrscheinlich spielte dabei die hoch fieber-
 renkrebses eine Niere entfernt werden. Seine                   hafte Erkrankung eine entscheidende Rolle, ist
 Ehefrau hat Tagebuch geführt. Das Gespräch mit                 doch Hyperthermie (Ganzkörpererhitzung in
 mir nach der Operation hat sie als „brutal“ in                 Narkose) eine alternative Methode der Krebs-
 Erinnerung: Ich habe sie zwar gebeten sich zu                  heilung. Ich bin davon überzeugt, dass es sich
 setzen und habe ihre Hand gehalten und gestrei-                auch bei Herrn L. um eine Spontanremission
 chelt aber sie in zwei Sätzen mit der vernichten-              nach Hyperthermie handelte.
 den Diagnose und der Prognose konfrontiert,
 dass ihr Mann nur noch wenige Monate zu leben                  Aber wie gesagt, die Meinungen gehen
 habe. Sie habe mich dann gebeten, ihrem Ehe-                   hier auseinander. Zwischen Fehldiagnose
 mann nicht die „Wahrheit“ zu sagen. Sie habe                   - Irrtum – Spontanremission – Wunder
 meinen Rat angenommen und habe mit ihrem                       und Dingen von denen wir nicht einmal
 Mann einen Urlaub in Ibiza verbracht. Zurückge-  Eibenwald bei Paterzell  träumen können ist alles möglich.
 kommen habe sie kein „normales Leben“ mehr   Fotos: Prof. Dr. Dr. med. Edlef Wischhöfer
                                                                            Prof. Dr. Dr. med. Edlef Wischhöfer (ew)
 führen können: Die Angst vor der Zukunft. Die
 Schulden mit dem neuen Haus, die Perspektive
 auf das Ende. So habe sie mit dem Gedanken   Fiebererkrankung begonnen. Im Rahmen   Erkrankung zu finden war. Daraufhin ist man –
 gespielt Selbstmord zu begehen. Ihrem Ehe-  dieser Fiebererkrankung erfolgte stationäre   weil nicht sein kann - was nicht sein darf -
 mann habe sie das alles nicht anvertraut. Bald   Aufnahme in einem anderen Krankenhaus.   davon ausgegangen, dass die Ärzte in dem
                                                                Anmerkung der Redaktion: Personennamen
 nach dem Urlaub - der genaue Zeitrahmen ist   Dort wurde dann der Magen gründlich unter-  vorherigen Krankenhaus  im Vierseenland das
 nicht klar - hat ihr Mann dann mit der   sucht, wobei keinerlei Hinweis auf irgendeine   Präparat eben verwechselt haben mussten.  wurden aus Datenschutzgründen verändert



 6  Y I D O   m i n d s e t                                                        Y I D O   m i n d s e t  7 7
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