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Als ich eingeladen wurde, in meiner dann sind sie immer eine Frage von Äu- nen Eigenheiten, Möglichkeiten Für viele Praktizierende bleibt es empor. Wenn ich meine Kampfkunst lie-
Eigenschaft als Psychologin, I Ging- ßerlichkeiten, der Inhalt lässt sich nicht und Grenzen - das ist sogar die leider eher beim Taekwon, Hapki, be, dann werde ich darin ganz von selbst
Kennerin und Taekwondo-Praktizie- korrumpieren! (Man stelle sich nur mal ei- größte und wichtigste Aufgabe, Aiko und Ju, und tatsächlich, das immer besser. Dann werde ich in meinem
rende, einen Artikel für dieses Maga- nen blutigen Anfänger vor, der sich den die sich stellt! hat etwas Albernes und wenig Re- persönlichen Tempo zu meiner vollen
zin zu verfassen, war ich zunächst ein schwarzen Gürtel umdrapiert – auf einem spekteinflößendes… Größe heranwachsen, die ebenfalls eine
wenig ratlos, worüber ich da denn Foto mag er damit punkten, aber sich Wenn der Schüler sich den ent- Denn was bedeutet es, einen Do zu ganz individuelle ist: Der eine ist als ers-
schreiben soll. Doch bevor ich mir in selbst kann er nichts vormachen. Und schlossenen Baumschössling zum gehen? Wie der zarte Eichenspröss- ter Dan ausgewachsen, der andere
so einem Fall lange den Kopf zermar- sollte er sich damit wirklich in die Praxis Vorbild nimmt, dann wird er zu sei- ling müssen auch wir eine harte schraubt sich noch in ganz andere Dan-
tere, befrage ich das alte chinesische wagen, erwarten ihn nur Misserfolge, ner vollen Größe heranwachsen, Schale sprengen - die Kruste unse- Höhen, und wieder ein anderer ist damit
Buch der Wandlungen. Das I Ging gab Blamagen und blaue Flecken. - Am Ende und zwar unabhängig davon, wie be- res Egos. Der Do ist der Weg zu uns zufrieden, es beim Rotgurt zu belassen.
mir den Rat, das Hexagramm 46 zum tut es immer weh, wenn man sich größer gabt er sich zunächst fühlt. Alleine selbst, von dem uns unser Ego be- Der eine findet in seiner Kampfkunst sei-
Thema zu machen: DAS EMPORDRIN- macht als man ist…) schon mit dem Löwenherzen eines harrlich ablenken will. Und wenn wir ne Berufung, der andere sieht sein Glück
GEN, mit den Wandellinien 1, 3, und 6. solchen Baumwelpen (sorry für das unseren Weg in den Budo-Künsten ge- darin, auch noch andere Kampfkünste zu
Die ehrliche Arbeit des Empordringens schräge Bild!) besitzt man die wichtigs- hen, dann werden wir unserem Ego ge- erlernen, der dritte ist heilfroh, wenn er
Tatsächlich ist es außerordentlich ein- erlaubt eben keinen triumphalen Durch- te Zutat für ein erfolgreiches Empordrin- nau dort begegnen, in falschem zweimal pro Woche die Zeit findet, sei-
fach, einen Zusammenhang zwischen marsch. Ihr Wesen ist Demut und Zähig- gen, eine Zutat, die sich dem Ehrgeiz, falschem Stolz, falscher Be- nem geliebten Hobby nachzugehen. Je-
der Kampfkunst und dem Empordringen keit. Das I Ging wählt dafür das Bild Uneingeweihten aber geheim hält! Das scheidenheit... Es liegt im Wesen des der nach seiner Art, der Wege gibt es
herzustellen, denn schließlich ist Empor- eines Baumschösslings, der nach seinem lernte auch der zum Drachenkrieger be- Egos, dass es nie zufrieden ist. Und weil viele!
dringen genau das, was wir tun, wenn wir unsichtbaren Auskeimen im Dunkel der rufene Kung Fu Panda, dem man seine es uns größer sehen will als wir sind, ist
uns durch konsequentes Trainieren vom Erde seinen Weg nach oben nimmt, und Genialität weiß Gott nicht sofort ansieht! es bereit, sich zu unglaublichen Kleinhei- Ein echter Weg, ein echter Do führt im-
ahnungslosen Weißgurt bis zum ersten zwar unbeirrbar, immer am Licht orien- Die Geschichte des liebenswerten Po ist ten zu erniedrigen... mer zu mir selbst, zu meiner Wahrheit.
Meistergrad und vielleicht noch weiter tiert, egal, was sich ihm in den Weg stellt: übrigens ein wunderbares Beispiel für Groß sein können wir nur, wenn wir in
hocharbeiten. Dieses Empordringen und „Never quit“. Für das anfangs so zarte das Empordringen: Man erinnere sich nur Dabei hat jedes Stadium unseres Empor- unsere eigene Form hineinwachsen –
Großwerden macht Arbeit, es kostet viel Pflänzchen bedeutet das viel Mühe und daran, wie er seine vielen Kilos die schier dringens - als Weißgurt, Gelbgurt, Grün- nicht in die Schuhe eines Anderen! Dazu
Schweiß (und manchmal auch Tränen), beharrliches Dranbleiben. Andererseits endlose Treppe zum Drachentempel gurt, Blaugurt, Rotgurt, Schwarzgurt - muss ich mich engagieren und anstren-
aber da diese Arbeit nicht fremdbe- bekommt es aber auch jede Menge Un- hochschleppt... Aber er will es! Und dann seinen eigenen Wert. Macht es denn gen, nicht aber vergewaltigen. Es geht
stimmt, sondern von uns gewollt ist, fühlt terstützung - Wasser, Nährstoffe, Son- eine Peinlichkeit, Niederlage und Abfuhr hes Maß an Reife. Deshalb ist unsere Sinn, einen Erstklässler an einem Abituri- um gesunde Zielstrebigkeit, nicht um
sie sich sinnvoll und gut an. Übersprin- ne… - die Natur will ja, dass es wächst, nach der anderen. Aber er will es! Und er Kampfkunst ja auch kein Sport, sondern enten zu messen? Wer so vergleicht, Strebertum! Es geht um den Weg, den
gen lässt sich in dieser „Karriere“ nichts, nur muss es beweisen, dass es das beißt sich durch! Wo dieser unbeugsame ein Do (von Dao, Tao), ein Weg. Auf die- schafft nur Konkurrenz, die dem gesun- Do, nicht um das Ziel. Das Ziel zeigt uns
und wer es ernst meint, der versucht selbst auch will und kann, dass es wider- Wille besteht, da geschieht Wachstum sem Weg werden wir uns verändern, den Wachstumsprozess höchst abträg- nur die Richtung - so wie der Polarstern,
auch nicht, irgendwelche Abkürzungen standsfähig und lebenstüchtig ist! ganz von selbst. doch nicht einfach irgendwie oder so, wie lich ist. Schließlich ist auch jeder kleine der über Jahrtausende hinweg den Men-
zu finden. Denn falls es welche gibt, unser Ego sich das vorstellt, sondern so, Eichenschössling ein Unikat, hat ein spe- schen half, sich zu orientieren, und zwar
Das ist auch die Herausforde- Nun wird der vielzitierte „unbeugsame wie die Eichel zur Eiche heranreift: Die zifisches Erbgut und findet spezifische ganz ohne, dass sie deshalb zu den Ster-
rung für jeden Frischling in Wille“ von so manchem Kampfsportler ganze Information für das Endziel ist von Bedingungen vor. Dasselbe in der nen aufsteigen mussten!
den Kampfkünsten. Er beginnt massiv missverstanden: Da sehen wir allem Anfang an in ihrem Erbgut vorhan- Kampfkunst: Der eine ist groß und kräf-
ganz unten und muss von der Leute, die von ihrem Ehrgeiz geknechtet den! tig, die andere klein und zart, die eine Dr. rer. med. Dipl.-Psych.
Pike auf lernen, sich nach den bis zum Umfallen trainieren, Leute, die biegsam, der andere ungelenk, einer Andrea Seidl
Regeln seiner Kunst zu bewe- die Warnsignale ihres Körpers überge- Genauso wächst unser Lebensbaum zu springt wie ein Flummi, eine andere hat Email: as@hapkido-magazin.de
gen. Und natürlich gilt es, die hen, Leute, die die Ellenbogen ausfah- dem hin, was er von Anfang an in sich ungemein viel Bodenhaftung… Jeder und
physischen Voraussetzungen ren, um Platz für ihr großes Ego zu trägt. Und wie alles Lebendige, beginnt jede muss den EIGENEN Weg finden,
zu schaffen, um die Technik schaffen, Leute, die hart, verbissen und sein Wachstum von unten, bei den Wur- der nur für diesen einen Menschen gilt!
gelungen einsetzen zu kön- verkrampft werden... Das aber ist gewiss zeln. Sie sorgen dafür, dass ihn nichts so Abschauen bringt nichts!
nen – Geschmeidigkeit, Mus- nicht im Sinne unserer Kunst, die es eher leicht umwirft. Auch wenn es zumeist die
kulatur, Kondition, Balance… mit Laotse hält. Der Weise vom Berg ausgreifende Baumkrone ist, die unsere Für diesen langen Weg brauchen wir ne-
Neben dem Körper ist auch weiß um die Macht des Nachgebens zur Bewunderung erregt, so wohnt die Stärke ben unserer eigenen Motivation auch
der Kopf gefordert: Gedächt- rechten Zeit. Immer wieder hält uns die des Baumes doch in den verborgenen noch äußere Unterstützung: Deshalb
nis, Koordination, Konzentrati- chinesische Weisheitsliteratur das Bild Wurzeln. Die wesentlichen Weichen wer- müssen wir lernen, um Hilfe zu bitten, wir
on... Auch damit nicht genug: des Bambus vor Augen, der die Elastizi- den abseits unserer Blicke gestellt - müssen uns etwas sagen lassen und of-
Denn jeder Kampfkunstschü- tät besitzt, sich beugen, wo etwas stärker durch unsere Einstellung zu uns und der fen sein, etwas auszuprobieren, was wir
ler muss auch noch klarkom- ist als er, um sich dann aber unversehrt Welt: Was halten wir von uns selbst? uns zuerst einmal schlecht vorstellen
men mit den Vereins- in voller Größe wiederaufzurichten. Was ist der Mühe wert und aus welchem können. Auch hier wieder Yin und Yang:
kameraden, mit der Autorität Grund? Was sind unsere Prioritäten?... Förderung von außen, Zielsetzung von
und Persönlichkeit des Meis- Wenn wir wirksam empordringen wollen, innen. Hat man nur äußere Gründe zum
ters, mit den Regeln und Ritu- dann brauchen wir immer beides, Yin und Als Schüler einer Kampfkunst führen wir Trainieren, wird das Empordringen früh-
alen des Metiers. Und nicht Yang, Stärke und Nachgiebigkeit, jedes tagtäglich das große Wort vom „Do“ im zeitig erlahmen. Eine echte Motivation,
zuletzt: Er muss mit sich zu seiner Zeit und an seinem Ort! Das zu Munde, ohne es überhaupt zu bemerken: die aus dem Herzen kommt, hingegen
SELBST klarkommen, mit sei- unterscheiden, braucht wiederum ein ho- Taekwon-Do, Hapki-Do, Aiki-Do, Ju-Do… wirkt wie Sonnenlicht, sie zieht uns quasi
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